TROTZ PFLEGEBEDARF SELBSTBESTIMMT LEBEN

Früher oder später sind wir alle einmal in der Situation, Pflege oder Unterstützung in unserem Alltag zu benötigen. Nicht nur Senior*innen möchten möglichst lange selbstständig leben. Auch Menschen mit hohem Pflegebedarf in einem jüngeren Alter haben diesen Wunsch. Trotz körperlicher oder kognitiver Einschränkungen wollen sie alle ihr Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen nicht abgeben. Die BIPGruppe hat es sich als Ziel gesetzt, all jenen Klient*innen ihren Wunsch nach Selbstbestimmung auch zu erfüllen

1. Selbstbestimmung in der Pflege – was bedeutet das?

Bei Alter, Behinderung oder schwerer Krankheit mitten im Leben bleiben und in Würde das eigene Leben gestalten – das ist es, was viele unserer Klient*innen unter Selbstbestimmung verstehen. Allgemein betrachtet bedeutet es, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden darf, wie er lebt. Dieses Recht auf Freiheit ist von unserer Verfassung geschützt und ein Menschenrecht. Der Wunsch von Pflegebedürftigen an die Pflege ist es, dass sie sich an die eigene Lebenssituation anpasst und sich in das eigene Lebensumfeld einfügt. Häuslichkeit, Normalität und Privatsphäre ist hier besonders wichtig. Alle pflegebedürftigen Menschen haben das Recht auf Selbstbestimmung.

Sie selbst sollen entschieden können, wie sie ihren Tag verbringen oder wann sie schlafen gehen. Die festen Routinen und Strukturen der Pflege schränken genau dieses Bedürfnis teilweise ein. In Angesicht des Fachkräftemangels haben viele Pflegekräfte damit zu kämpfen, keine Zeit mehr für die individuellen Bedürfnisse ihrer Klient*innen zu finden. Dabei lässt sich zu Zufriedenheit von Klient*innen leicht positiv beeinflussen. Eine Frage, was jemand zu Abend essen möchte kann hier schon ausreichen, um das Selbstwertgefühl zu stärken.

2. In diesen Bereichen kann die Selbstbestimmung gefördert werden

Um die eigenen Klient*innen in ihrem Alltag und Selbstständigkeit zu fördern, gibt es viele Möglichkeiten. Die Selbstbestimmung beginnt schon beim Essen: Was möchte der oder die Klient*in essen, wieviel Zeit wird dafür benötigt? Auch in der Körperpflege kann man leicht Rücksicht nehmen. Hilfsmittel wie eine elektrische Zahnbürste können Einschränkungen ausgleichen. Außerdem ist es möglich, den Klient*innen die Wahl bei den eigenen Pflegeprodukten zu lassen. Eine Lieblingscreme oder ein besonderes Shampoo ist immer die beste Wahl bei der Körperpflege – so sind beide Seiten am Ende zufrieden. Sofern möglich, sollten auch die Gewohnheiten der Person immer berücksichtig werden. Wer gerne ausschläft, sollte das auch machen können und nicht von der Pflegenden Person aus der Routine gerissen werden.

3. Welche Maßnahmen ermöglichen Selbstbestimmtes Leben trotz Pflegebedarf?

Eine weit verbreitete und bekannte Form, um trotz Pflegebedarf weiterhin selbstständig leben zu können, ist das Betreute Wohnen. Der Begriff des Service-Wohnen wird hierfür oftmals als Synonym verwendet. Sie ermöglichen ein relativ eigenständiges Leben mit der angemessenen Unterstützung und sind eine gute Alternative zum klassischen Pflegeheim.

Das betreute Wohnen wird besonders dann gewählt, wenn Menschen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchten. Oftmals finden sich Angebote in der direkten Umgebung zur eigenen Wohnung, sodass ein Wechsel ohne große Änderungen der Gewohnheiten einhergeht. Mehrere Parteien leben in einem Wohnkomplex in kleinen Wohnungen, sodass auch soziale Beziehungen hier erhalten bleiben. Einziger Nachteil: Die Plätze für das betreute Wohnen sind sehr beliebt und die Wartelisten lang.

Zum betreuten Wohnen gehören:

  • Barrierefreie Wohnungen (Praktisches Bad, Aufzug, breite Türen)
  • Hausmeisterservice
  • Gute Infrastruktur in der Nähe (Ärzte, Friseur, Fußpflege, Kosmetik, Supermarkt)
  • Leichter Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Angebote zur Freizeitgestaltung oder Gemeinschaftseinrichtungen

Zusätzlich angeboten werden oftmals auch ein eigener Hausnotruf, die Reinigung der Wohnung, Fahrdienste, Wäscheservice, Einkaufsservice, Besuchs- und Begleitdienste, Mahlzeitenservice, Medizinische Fußpflege oder die Unterstützung bei amtlichem Schriftverkehr und Behördengängen.

Bei der 24-Stunden-Betreuung ist zusätzlich auch die Versorgung durch Betreuungskräfte gewährleistet. Sie wird überwiegend im eigenen zuhause angewandt, wenn der Pflegebedarf nicht allzu groß ist. Anstelle von ausgebildeten Fachkräften erfolgt hier eine Unterstützung durch Betreuungspersonal, die keine vollständige Pflegeausbildung absolviert haben. Dabei kann es sich u.a. um Pflegehilfskräfte handeln. Sie unterstützen z.B. bei der Grundpflege, Einkäufen oder Hausputz, jedoch nicht bei medizinischen Behandlungen. Für Angehörige ist dieses Angebot oft eine spürbare Entlastung und es bietet auch Sicherheit: Es ist immer jemand in der Nähe und in Notfällen kann schnell geholfen werden.

Wenn ein Umbau des eigenen Hauses oder der eigenen Wohnung möglich ist, so können pflegebedürftige Personen aller Pflegestufen oftmals auch im eigenen Zuhause bleiben. Familie und Pflegebedürftige können sich gemeinsam Gedanken machen, welche Hindernisse und Gefahrenquellen umgebaut werden sollten, damit sich die Person auch alleine frei bewegen kann, ohne dass etwas passiert. Typische bauliche Maßnahmen sind beispielsweise das beseitigen von Türschwellen oder Treppenstufen, die zur Stolperfalle werden können. Rampen und Treppenlifte sorgen für mehr Sicherheit im Alltag.

In der Küche kann es sinnvoll sein, die Schränke tiefer zu legen oder die Küchenzeile ausziehbar zu gestalten. Das Badezimmer ist eine der wichtigsten Stellen, die man genauer auf Gefahrenquellen untersuchen sollte: Duschkabinen und Badewannen mit einem hohen Einstieg sind eine Stolperfalle und sehr gefährlich, wenn Menschen körperlich eingeschränkt sind. Eine ebenerdige Dusche mit Haltegriffen kann hier eine gute Alternative sein. Die Finanzierung der Umbauten lässt sich oftmals auch mit der Unterstützung der Krankenkassen finanzieren. Denn jede*r mit einem Pflegegrad hat Anspruch auf eine Anpassung der Wohnsituation. Bis zu 4.000€ können hierfür bezuschusst werden.

Weitere Möglichkeiten für barrierefreies Wohnen:

  • breite Durchgänge und Flure
  • Automatische Beleuchtung per Bewegungsmelder in der Nacht
  • Öffnen und Schließen der Tür mit geringem Kraftaufwand möglich
  • greifgünstige Drückergarnituren, z.B. U-förmige Griffe, keine Drehgriffe und eingelassene Griffe
  • Rutschhemmende Bodenbeläge
  • Keine losen Schmutzfangmatten oder Teppiche
  • Vermeiden von Treppen; falls noch, dann auf gerade Läufe achten (keine Wendeltreppen!)
  • Rollstuhlabstellplatz vor bzw. in der Wohnung
  • Gut kontrastierte Hausnummern/Klingelschilder
  • Gegensprechanlagen für Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen
  • Armaturen als Einhebelarmatur oder als berührungslose Armatur mit einer
  • Temperaturbegrenzung auf 45° C
  • Möglichkeit zur Nachrüstung horizontaler und vertikaler
  • Stütz-/Haltegriffe für WC/Dusche
  • Toilettenpapierhalter und Spülung ohne Veränderung der Sitzposition erreichbar
  • WC-Sitzhöhe von 46-48cm über FFB

Ein wichtiger Punkt für den Erhalt der Selbstbestimmung im Pflegefall ist die frühzeitige finanzielle Absicherung. So können Maßnahmen für die eigene Freiheit im Alter leichter umgesetzt werden. Finanzielle Sicherheit kann den barrierefreien Umbau der eigenen Wohnung, aber auch gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Kurreisen ermöglichen. Ein finanzielles Polster kann vieles ermöglichen – wer diese aber nicht besitzt, kann sich Unterstützung bei Bund und Gemeinde suchen. Für diese Zwecke gibt es verschiedene Fördermittel, die u.a. auch von den Förderbanken vergeben werden.

Viele Menschen schaffen es im Alter, lange gesund und fit zu bleiben. Doch eine Erkrankung, ein Unfall oder einfach die normalen Einschränkungen das Alters können dafür sorgen, dass man plötzlich auf Hilfsmittel angewiesen ist, um unfallfrei durch den Alltag zu kommen. Dann kann nicht mehr jede Aufgaben alleine bewältigt werden. Angehörige können ihre Unterstützung anbieten, jedoch ohne zu bevormunden. Arzttermine, Behördengänge oder Einkäufe können gut durch sie übernommen werden. Hobbys oder Leidenschaften sollte je nach Möglichkeit noch bei der pflegebedürftigen Person bleiben können: Garten- und Pflanzenpflege oder die tägliche Fütterung und der Spaziergang mit dem Hund sollten noch selbstständig ausgeführt werden, wenn möglich. Sie bereiten Freude und halten gleichzeitig fit.

Technische Hilfsmittel gibt es inzwischen in allen Lebensbereichen, sodass theoretisch jede kleine Aufgabe im Alltag erleichtert werden kann. Die Option reichen von Sesseln und Betten mit Aufsteh-Hilfen über Toiletten mit Blutzuckermessung hin zu Sturzsensoren. Entsprechend der eigene finanziellen Mittel lässt sich in allen Kategorien etwas passendes finden. Schon der Einsatz einer einfachen elektrischen Zahnbürste kann die tägliche Zahnpflege erleichtern. Ganzkörpertrockner sind ein guter Ersatz für der Kampf mit dem Handtuch und weit verbreitet Technologien wie Wisch- und Saugroboter erleichtern den Hausputz. Bekannte technische

Pflegehilfsmittel sind zum Beispiel:

  • Prothesen
  • Rollatoren
  • Pflegebetten
  • Rollstühle
  • Lagerungshilfen
  • Notrufsysteme
  • Badewannenlifte
  • Seniorenhandy
  • Demenz-Ortungssysteme
  • Warnmelder (z.B. Herdwächter, Rauchmelder und Wassermelder)

Ein Punkt, der bei alle der Fürsorge niemals vergessen werden darf, ist das Wahren der Privatsphäre der Pflegebedürftigen. Denn Selbstbestimmung bedeutet nicht nur die Freiheit, vieles selber machen zu können. Es bedeutet auch, sein Recht auf Privatsphäre weiterhin nutzen zu können. Selbst Menschen mit einem hohen Pflegegrad brauchen die Möglichkeit, sich Zeit für sich selbst nehmen zu können. Ein Rückzugsraum ist hier dringend zu empfehlen. Das ist in den meisten Fällen das eigene Zimmer, in dem sich die Tür schließen lässt und trotzdem in Notfällen das Pflegepersonal hineinkommen kann. Gerade beim Punkt der Privatsphäre ist jeder Mensch anders und hat andere Wünsche und Ansprüche an Angehörige und Pflegende. Diese gilt es unter allen Umständen zu respektieren. Eine regelmäßige Rücksprache und Rückfragen sind hier notwendig, um sich abzusichern, dass man die Grenzen des anderen nicht überschreitet. Falls sich Pflegebedürftige nicht mehr richtig artikulieren können, sollte man dennoch versuchen, eine Rückmeldung über Blick oder Handbewegungen zu erkennen. So geht man sicher, seinen Gegenüber stets angemessen zu behandeln.

4. Was bedeutet „Hilfe zur Selbsthilfe“?

Pflegebedürftige aller Pflegegrade sehen sich täglich vielen Herausforderungen gegenüber gestellt. Damit sie nicht aus gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen werden und in die Rolle eines passiven und hilfsbedürftigen Menschen gedrängt werden, sollten sie durch die „Hilfe zur Selbsthilfe“ eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben bekommen. Pflegebedürftige Menschen sollen mit der Hilfe zur Selbsthilfe bei ihren eigene. Anstrengungen unterstützt werden, um nicht aus der Eigenverantwortung entlassen zu werden. Sie werden bei allen Entscheidungen mit einbezogen, egal wie simpel oder komplex sie auch sein mögen. Trotz Pflegebedürftigkeit sollen sie sich so eine Form der eigenen Unabhängigkeit erhalten können.

Die Hilfe zur Selbsthilfe im medizinischen und pflegerischen Kontext bedeutet konkret, Klient*innen Tipps zur Weiterbehandlung zu geben oder ihnen in Form von Broschüren, Büchern oder Selbsthilfegruppen Informationen zu liefern. Reformpädagogin Maria Montessori (1870– 1952) sagte zu diesem Konzept auch etwas, dass sich besonders für Pflegende und Angehörige ebenfalls anwenden lässt : „Hilf mir, es selbst zu tun. Zeig mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger. Vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will.“

5. Wo sind die Grenzen der Selbstbestimmung?

Wie bei vielen anderen Dingen auch gibt es natürlich auch bei der eigenen Selbstbestimmung Grenzen. Sobald die Freiheit eines anderen Menschen eingeschränkt oder ein Leben gefährdet wird, ist die Autonomie eingeschränkt. Besonders der Aspekt der Selbstgefährdung ist in der Pflege von hoher Relevanz. Oft kommt es zu Situationen, in denen das Wohl der Klient*innen gefährdet ist – hier müssen Pflegefachkräfte handeln, auch wenn dies vielleicht nicht dem Wunsch der Klient*innen entspricht. Besonders bei Demenz oder starken körperlichen Einschränkungen kann es dazu kommen. Aber auch in der ambulanten Pflege kommt es oft zu Situationen, in denen eine Person nicht mehr in der Lage ist, sich selbst versorgen zu können. Wenn aufgrund einer Urteilsunfähigkeit eine klare Selbstgefährdung vorliegt, besteht Meldepflicht und pflegerische Maßnahmen müssen angepasst werden, obwohl die Person das in diesem Moment vielleicht gar nicht möchte.

6. Wie hängen ambulante Intensivpflege und Selbstbestimmung zusammen?

Intensivpflegebedürftige Klient*innen möchten selber entscheiden können, wie und wo sie gepflegt werden. Sie sollten die Wahl haben zwischen einer stationären oder ambulanten Intensivpflege. Letztere kann beispielsweise in einer Wohngemeinschaft für Intensivpflege oder im eigenen zuhause vollzogen werden. Die Wohngemeinschaften für Intensivpflege versorgen je nach Größe 3 bis 12 Klient*innen und zeichnen sich durch einen sehr guten Pflegeschlüssel aus, der meistens bei 1:3 liegt – kein Vergleich zu einem klinischen Umfeld. Bei der Intensivpflege im eigenen zuhause liegt eine direkte 1:1-Betreuung vor. Diese Voraussetzungen ermöglichen es Pflegefachkräften, auf die individuellen Wünsche ihrer Klient*innen besonders gut eingehen zu können.

Einfache Maßnahmen, wie der Einsatz des Wunsch-Shampoos, das Einschalten der Lieblingssendung oder die abendliche UNO-Runde, können hier problemlos in den Pflegealltag integriert werden. Klient*innen können ihren Tagesablauf selbstständig mit gestalten. Nach einer ersten Phase des Kennenlernens können die Pflegefachkräfte ihre Klient*innen gut einschätzen und wissen, wer am morgen gern ausschläft, wer seine Körperpflege lieber am Nachmittag möchte oder wer gerne Zeit an der frischen Luft verbringt. Gemeinsam erarbeitete Routinen lassen sich dann auch für das Pflegeteam einfach integrieren. Dabei werden die Klient*innen in ihren Entscheidungen immer einbezogen.

Quellen: